Wilhelm von Humboldt           Zuversicht in den Sternen

1767 – 1835

               1

Sind denn die Schwäne alle fortgezogen,

Die sonst hier heimisch ihre Sitze hatten?

               2

Du siehst sie ziehn, des Stromes blaue Wogen

Mit den geschwellten Fittigen beschatten.

               1

Die falschen meine Hoffnungen betrogen,

Irrlichtern gleich auf nebelfeuchten Matten.

               2

Die Sterne nr stehn fest am Himmelsbogen,

Sonst sich mit Allem Flucht und Wandel gatten.

               1

So wie der Schwäne silberweiße Schwingen,

Sah ich die Freuden meiner Jugend glänzen,

Und eilte rasch, damit mein Haupt zu kränzen,

 

Da nichts kann die entflohnen wiederbringen.

Erinnrungsvoll nun schau’ ich auf die Sterne,

Die Zuversicht entsenden dunkler Ferne.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die althellenischen Gestalten

1767 – 1835

Zu euch, ihr althellenischen Gestalten,

Treibt innre Sehnsucht mich zurückzukehren,

Ich kann des Busens heißem Drang nicht wehren,

wenn andre Bahnen auch noch fern mich halten.

 

Die Formen, die sich reich in euch entfalten,

Den Geist mit tiefer Schönheit sinnig nähren,

Und zum Olymp den freien Pfad gewähren

In mächtig angeknüpftem Wechselwalten.

 

Was irr’ ich noch um ferne Meergestade,

Wo keine Nais spielt im Wellenbade,

Und die umschwärmt barbarischer Nomade?

 

Wie mag ich selbst an Indus Ufern weilen,

Und nicht die Klänge zu vernehmen eilen,

Die alte Schicksalswunden lindernd heilen?

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Hülfe von Oben

1767 – 1835

Wenn Blick der Gottheit mild den Menschen grüßet,

Sie in die Brust ihm sichres Vertrauen,

Auf das er kann bei schwerem Werke bauen,

Wie Tropfen heiterer Begeistrung, gießet;

 

Wenn dieser Sonnenblick nicht freundlich schießet

In kalten Erdenlebens dämmernd Grauen,

Kann Glanz nicht die Gedanken frisch umthauen,

Und nüchtern hin ihr träges Strömen fließet.

 

Doch diese Gabe reiner Göttermilde

Herab kein Flehen und kein Sehnen bringet,

Wenn nicht der geist sich ihr entgegen schwinget.

 

So, wandernd durch die dunklen Erdgefilde,

Bedarf der Mensch des Muths schon, der ihm fehlet,

Eh’ seine Kräfte Hauch der Gottheit stählet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Schriftenthüllung

1767 – 1835

Inschrift in uns nicht mehr bekannten Zügen

Doch den Gedanken sicher weiter träget,

Wie man die Zeichen kann zum Sinne fügen,

Er klar und hell sich auseinander leget.

 

Das Wort, des Klänge dann entfesselt fliegen,

Vernehmlich an das Ohr des Hörers schläget,

Froh, wieder sich an Menschenbrust zu schmiegen,

Die es in ihrem stillen Ernste wäget.

 

So ruhend oft in Schlummers dunklem Bette,

Die Wahrheit doch durch alle Zeiten gehet

In engverbundener Gedankenkette,

 

Wenn oft auch erst sie spät Geschlecht verstehet.

Denn wie der Zeiten Graus es mag bedecken,

Kann, was der Mensch gedacht, Mensch wieder wecken.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Jenseits

1767 – 1835

Kann jemals sich von dem Gefährten trennen

Die Seele, und getrennt für sich bestehen,

Die, nur belebt von seines Odems Wehen,

Ist seiner Fibern Götterklang zu nennen?

 

Hier scheitert unser lichtvolles Erkennen,

Den Glauben hemmet, was wir deutlich sehen,

Und wenn wir hoffend durch das Leben gehen,

Lockt uns des Busens heißes Sehnsuchtsbrennen.

 

Die ahnende Gewalt, die in uns lebet,

Mit Wahrheitskraft empor zum Aether strebet,

Und reißt uns fort, ihr sicher zu vertrauen;

 

Die Liebe kann, verheißend, nimmer trügen,

Ihr stilles Neigen muß den Stoff besiegen,

Wir müssen wieder, was wir selbst sind, schauen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Jenseits

1767 – 1835

Das Dasein kann an neues sein sich binden,

Wie Bach zum Strom und Strom zum Meere schwillet;

Doch wird das tiefe Sehnen nur gestillet,

Wenn man kann wieder das Gewohnte finden.

 

Des Wesens Würd’ und Anmuth sich verkünden

In der Gestaltung, die sie hold umhüllet,

Und wo im Busen heiße Liebe quillet,

Kann nur der gleiche Funke sie entzünden.

 

Wenn aus den schön gezognen, milden Schranken,

Die es umschreiben, muß ein wesen schwanken,

Und sich in Allgemeinerem verlieren,

 

Kann nicht sein stilles Sein die Brust mehr rühren;

Es fehlt der Hauch, deß innres, heilges Wehen

Macht, daß sich Seel’ und seele leis verstehen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Erde Dämmerhelle

1767 – 1835

Ich habe gern die mondumkreiste Erde,

Die stille Freuden zahlreich mir gewähret,

Die Menschen und die Thiergeschlechter nähret,

Und sichren Wohnsitz giebt am Heimathsheerde.

 

Ich trage willig ihrer Müh’ Beschwerde,

Und beut sie Schmerz, mich nicht gleich Gram verzehret;

Die Himmelsglut, die in der Brust mir gähret,

Bürgt, daß sie mir nicht ewger Kerker werde.

 

Doch wandl’ ich gern in ihrer Dämmerhelle,

Und freue mich der leichten Lebenswelle,

So oft sie an die Brust mir, kehrend, schläget,

 

Zum neuen Sonnenlauf mich weiter träget,

Bis sie mich sanft birgt an des Grabes Schwelle,

Und mich in ihren Schooß die Erde heget.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Bodensee

1767 – 1835

Der schöne See, an den sich Constanz lehnet,

Den Weingelände reizend rings umgeben,

Und wo sich Inseln anmuthvoll erheben,

Um die sein Fluthenreich er rollend dehnet,

 

Der in der Zeit, nach der vergeblich sehnet

Sich meines Busens tiefstes innres Leben,

Sah mich mit ihr auf leichtem Kahne schweben

Bei Sturm, den man auf ihm gefahrvoll wähnet.

 

Doch wenn, die Lieb’ und Eintracht süß vereinen,

Der Wellen Schaukelnachen froh besteigen,

Auch unter Wolken milde Sterne scheinen.

 

Denn Einklang durch die ganze Schöpfung gehet,

Und mit des Busens stillem Liebesneigen

In Bund das Reich der Elemente stehet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Freiheit und Wirklichkeit

1767 – 1835

Die edle Freiheit des Gemüthes sprießet,

Wie Blüte, aus der Knospe der Gefühle,

Sie kennet nicht der Leidenschaften Schwüle,

Besonnen sie und milde sich erschließet.

 

Dann aber muthig sie den Himmel grüßet,

wie, breitend unten süßen Schattens Kühle,

Des Baumes Gipfel, daß ihn Luft umspiele,

Hoch in das Reich der Lüfte freudig schießet.

 

So lange sie und ihre Sinnverwandte

Hienieden, göttliche Gestalten, gingen,

Sah man dies Götterkind auf Erden blühen.

 

Jetzt das Gemüth hernieder, fesselnd, ziehen

Die Wirklichkeit und ihres werks Vollbringen,

Und jene Freiheit trauert, als Verbannte.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Arria

1767 – 1835

Er schmerzt nicht! Arria gelassen sagte,

Und reichte hin den Dolch dem edlen Gatten;

Sie lud ihn mit sich in das Reich der Schatten,

Und er zu folgen ihr nicht zögerrnd zagte.

 

Die fest Entschlossne nicht erst ängstlich fragte,

Ob Glück die Götter ihr bereitet hatten,

Wohin sie, ohne weibisch Kraftermatten,

Mit kühnen Fuß beherzt zu gehen wagte.

 

Sie wollte nicht mit Schmach die Erde schauen,

Die ihren Pätus nicht mehr tragen sollte;

Das Leben sie mit muthger Treu’ ihm zollte,

 

Und nicht geschreckt durch des Schicksals Schläge,

Ward Führerin ihm auf dem finstren Wege,

Und keine Thräne ließ ihr Aug’ umthauen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Gefiederte Sänger

1767 – 1835

Die Vögel trillern ihre muntren Lieder,

Daß weithin Feld und Wald davon erklinget;

Wie in die Lüfte hoch ihr Flug sich schwinget,

Tönt noch melodischer ihr Zwitschern nieder.

 

Denn eng verknüpft sind Stimme und Gefieder;

Kein Thier, das frei nicht durch die Lüfte dringet,

Des Liebes weihe dar dem Himmel bringet,

Einförmger Ruf nur schallet von ihm wieder.

 

Doch auch der Vögel glückliche Geschlechte

Genießen des Gesanges heilge Rechte

Nur, wenn der Liebe Trieb sie süß begeistert.

 

Wenn diese Augenblicke sind verschwunden,

Die von der Thierheit Fesseln sie entbunden,

Dann dumpfe Stummheit ihrer sich bemeistert.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Pflanzenseele

1767 – 1835

Der Blätter Fülle jährlich sich erneuet,

Und stirbt am Baume jährlich welkend wieder;

Er sie als Schmuck, so scheint es, schüttelt nieder,

Und fort sich seines eignen Lebens freuet.

 

Allein vielleicht ihm nicht bloß an sich reihet

Ihr krauses Laub, als wären sie ihm Glieder,

Gleich zartem Haar und flaumigem Gefieder,

Vielleicht daß er nur ihnen Wohnsitz leihet.

 

Dann sind sie selbst das wahre, rege Leben,

Das froh mit jedem neuen Lenz erblühet,

Und durch den Stamm ein tausendfaches Streben

 

Aus der entfernten Wurzel Nahrung ziehet.

Doch nur in ihnen sich der Hauch erschließet,

Der mild die Luft, als Pflanzenseele, grüßet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Nebel der Zukunft

1767 – 1835

Vom Reigen aller flüchtgen Tagesstunden

Am meisten ich den ernsten Abend liebe;

Dann ist das Sonnenkind dahin geschwunden,

Und keiner wünschet, daß es ewig bliebe.

 

Sei es mit Rosenkränzen hold umwunden,

Sei früh schon seinesw Lebens Morgen trübe,

Folgt gern das Herz, durch Stillstand nicht gebunden,

Dem fortzustreben angebornen Triebe.

 

Denn wenn die Zeit von selbst dahin nicht flöhe,

Sie unsre Sehnsucht fort mit sich doch risse,

Sie treibet uns ins ferne Ungewisse,

 

Die dichten Nebel, die die Zukunft decken,

Nicht dürfen unsere scheuen Busen schrecken,

Wir müssen hin auf mehr besonnte Höhe.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Farben

1767 – 1835

Was spricht sich aus in jenen farbgen Zügen?

In stillem Blau der heitre Himmel schwimmet,

Und sanftgebogen sich die Welle krümmet;

Dann unentrollt noch die Gefühle liegen.

 

Roth brennendheiß der Flamme Funken fliegen,

Roth Kohlengluth, bedeckt von Asche, glimmet;

Zu tiefem Schmerz dann mehr, als Lust gestimmet,

Das Herz an sein Geschick bewegt sich schmieget.

 

Aus Roth auch Blau, wie Blüthe, sich entfaltet,

Dann nach Bewegung einsam Stille waltet,

Und keine Flamme mehr der Busen schüret.

 

Allein dem Blau auch wieder Roth entsprühet,

Was dann im tiefen Herzen hat geglühet,

Sich unbefriedigt bang in Gram verlieret.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Wesen der Dichtung

1767 – 1835

Die Dichtung um des Dichters Schläfe flieget,

Doch läßt sich locken auch durch leise Töne,

Wenn man, von zaubrischer Gestalten Schöne

Umschwebet, sich in süßen Träumen wieget.

 

Allmälig Bild an Bild sich sanft dann schmieget,

Der Mund, daß er das Ohr an Reim gewöhne,

Sucht sorgsam, daß er Laut mit Laut versöhne,

Und endlich Zeile sich zu Zeile füget.

 

Denn doppelt Dichtung mächtge Wurzel schläget

In Menschenbrust und der Natur Gestalten,

In uns sie bald aus diesen sich ergießet,

 

Und bald empor aus unserm Busen schießet;

Wenn nur der Mensch die Phantasie läßt walten,

Sie willig ihn in Erdenferne träget.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Tagesschluß

1767 – 1835

Vor Helios Gespanne rüstig schreitet

Eos, und in der Hand die fackel träget,

Mit Rosenglanz den Himmel überbreitet,

Und wie sie kommt, die frohe Welt sich reget.

 

Denn um zu spähn, was ihm der Tag bereitet,

Dem Tagsgestirn sich jeder zu beweget,

Und wie des Morgenrothes Schein er deutet,

Sich um die Brust ihm Furcht und Hofnung leget.

 

Doch wenn auch Ruhm und Macht ihm fröhlich sprießet,

Wird doch er bald des Tagesglanzes müde,

Und nach dem stillen Dämmerlicht sich sehnet.

 

So sich der Lauf der Tageszeiten dehnet,

bis ihn geweihter, mitternächtger Friede

Im Angesicht der Sterne sanft beschließet.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Des Traumbilds Element

1767 – 1835

Wenn sanft das Haupt sich in das Kissen schmieget,

Von allen Tagsgedanken abgeschieden,

Nur suchend stiller Ruhe tiefen Frieden,

Herbei der Reigen lustger Träume flieget,

 

Und Traumbild doch die Wirklichkeit besieget.

Nichts ist so fein und zart gewebt hienieden,

Es führt in Feenland den Lebensmüden,

Und ihn auf goldnen Wolken wonnig wieget,

 

Und ist es beim Erwachen auch zerronnen,

Sind seine Fäden dennoch fest gesponnen,

Nur biegsam in des Schlummers Bildnerhänden.

 

Denn in des Busens tief geheimsten Gründen

Die Träume ihres Wesens Wurzel finden,

Und von da auf uns seine Schatten senden.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Macht des Gesanges

1767 – 1835

So wie die sonne kehrt in festen Gleisen,

Selene regelmäßig neu erscheinet,

Der Morgen froh entstrahlt, die Nacht sich bräunet,

So mir begegnen des Gesanges Weisen.

 

Wie Götterhauptes Haare niemals greisen,

Und Niobe in ewgem Schmerze weinet,

Mir sich, mit dem Gefühl der Brust vereinet,

Des Liedes Quellen unversiegt erweisen.

 

An Alles leicht sich flüchtge Reime hängen,

Und in des Lebens labyrinthschen Gängen

Gebricht nicht Stoff, den sprossenen Gedanken

 

Zu führen in der Dichtung luftge Räume,

Wenn man das ungemessne Feld der Träume

Vorzieht der Wirklichkeit beengten Schranken.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Erfüllte Bestimmung

1767 – 1835

Dem ziemt der Preis, daß wahrhaft er gelebet,

Der, hätt’ er wenig auch in That erstrebet,

Als Lücke in der Menschheit wird empfunden,

Wenn er den Lebensfaden abgewunden.

 

Denn an der Menschheit reichem Teppich webet

nur, wer aus innrer Kraft sich frei erhebet,

Und wer in ihren Blüthenkranz gebunden,

was nur er konnt’ in eigner Brust erkunden.

 

Der lebt dann fort im menschlichen Gemüthe;

Wie jeden Lenz der Erde sich entwindet

Auf seinem Grabe neu verjüngte Blüthe;

 

So, wenn in Dunkel auch sein Name schwindet,

Das Feuer, das ihn hewilig einst durchglühte,

In später Zeit noch lichte Funken zündet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Heimfahrt

1767 – 1835

So sind die flücht’gen Jahre denn vergangen,

Wo meine Seele Kummer nie getrübet,

Wo, liebend, wieder inniglich geliebet,

Ich reines Glück aus güt’ger Hand empfangen.

 

Jetzt glüht nicht Freude mehr auf meinen Wangen,

Das Menschenschicksal hat sein Recht geübet,

Es nimmt zurück die Gaben, die es giebet,

Und löst die Arme, die sich treu umschlangen.

 

Des Schiffes Segel ist schon aufgezogen,

Das mich zur Küste gegenüber träget,

Vom Wind umspielt sein Wimpel flatternd wehet.

 

Ob auch die Fahrt durch nächtge Wellen gehet,

Wenn nur dieselbe Hand mein Loos dort wäget,

Die hier mir Seligkeiten zugewogen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die stillen Nächte

1767 – 1835

Ich wandre oftmals durch die stillen Nächte,

Wenn längst schon ruhn der Sterblichen Geschlechte;

Denn Sehnsucht brennend mich nach ihr verzehret,

Die Ruhe nie zugleich und mich entbehret.

 

Sie Wunsch nie hegt, der mich nicht nah ihr brächte,

Und meine Nähe ihre Ruh nie schwächte;

Da sie, was ihr erreichbr ist, begehret,

Sich der Erfüllung Schale nie ihr leeret.

 

Ich aber blicke zu den nächtgen Sternen

Und meine leisen Seufzer still sie fragen,

Wenn so ich Fuß vor Fuß geduldig setze:

 

Kommt je mir Lohn aus euren lichten Fernen?

Dann klar mir ihre Strahlenblicke sagen:

An unserm Anblick dich im Dulden letze!

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Omen accipio

1767 – 1835

Wenn man ein Wort hält in der Brust gefangen,

Weil es Entweihung scheint, es auszusprechen,

Und es aus fremdem Mund hört plötzlich brechen,

Fühlt man befriedigt innerlich Verlangen.

 

Die Töne wirklich nun dem Ohre klangen,

Und ihre Weihe kann der Laut nicht schwächen,

Sie haben sich an keiner Schuld zu rächen,

Da Dasein sie vom Zufall nur empfangen.

 

Wie günstig Zeichen her vom Himmel blitzet,

Wie Adlersflug erscheint zur rechten Seite,

Geziemts, daß man solch Worterschallen deute.

 

Denn mit dem Menschen in geheimem Bunde

Steht die Natur, und in geweihter Stunde

Verkündet ihm, daß sie den Armen schützet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Hoffnungslose Sehnsucht

1767 – 1835

Warum willst Sehnsucht du, nie endend, nähren?

Die Trauer kann den Busen nie verlassen,

Man kann die Schmerzen leiden, doch nie hassen,

Nicht wünschen, ihren Becher je zu leeren.

 

Doch Sehnsucht ist ein eiteles Verzehren,

Worin nur Gegenwart kann, lebend, prassen;

Will sie mit Geisterarmen Tod erfassen,

Verlangt, was keine Gottheit kann gewähren.

 

Ich weiß es wohl, mich Hoffnungen nicht trügen,

Der Tropfen, der dahin floß, niemals kehret,

Doch der Gewalt der Sehnsucht das nicht wehret;

 

Sie zieht in schmerzensreichem Wonnestreben

Aus der Unmöglichkeit ihr quillend Leben,

Und wächst, je ferner ihre Güter liegen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Des Geistes Heimath

1767 – 1835

Oft wenn der Körper krankt, der Geist sich hebet,

Er freier in das Reich der Ahndung schauet,

Und sichrer seinen Deutungen vertrauet,

wenn nicht zu mächtig mit der Körper strebet.

 

Denn immer doch die Sehnsucht ihn umschwebet,

Zu wirken, nur von seinem Hauch umthauet,

Und nur was er aus eignem Stoffe bauet,

Scheint ihm aus innrer Wahrheit ächt gewebet.

 

Im voraus athmwend in des Aethers Lüften,

Graut nicht ihm vor den nachtumgebnen Klüften,

Die dieser Erde Dasein schroff begränzen.

 

Er einsam kühn die neuen Pfade gehet,

Und sich begeistert zu den Sphären drehet,

Die neue Strahlen ihm entgegenglänzen.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Egmont

1767 – 1835

Der zu befrein sein Volk vom Joche strebte,

Egmont, wenn er für Klärchen liebend fühlte,

Und süß vertraut mit ihren Locken spielte,

Drum minder nicht dem ernsten Werke lebte.

 

Der Menschheit Höchstes ihm die Brust umschwebte,

Und was mit todtem Handeln er erzielte

Ihm nicht die tief lebend’ge Sehnsucht kühlte,

Wenn nicht ihm Liebeshauch entgegen bebte.

 

Freiheit und Liebe sind die schönen Klänge,

Die alles Edlen Inbegriff umschlingen,

Nichts Großes ist, das ihnen nicht entspränge.

 

Sie hin nach außen und nach innen ragen,

Daß, wenn der Wolken Dunkel wir durchdringen,

Wir Götterlicht uns sehn entgegen tagen.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Gegenliebe

1767 – 1835

Die Liebe nährt sich wohl von Gegenliebe,

Doch wächst auch, wenn ihr diese Nahrung fehlet;

Sie nicht Erreichbares, nicht Glück sich wählet,

Stammt, selbst sich unbewußt, aus dunklem Triebe.

 

Wenn ihr auch nichts, als ihre Sehnsucht bliebe,

Sie nie die reichvergoßnen Thränen zählet,

Mit süßer Lust ist doch ihr Schmerz vermählet,

Wie Luna’s Schimmer blickt durch Wolkentrübe.

 

Nur Wenigen des Busens Stärke quillet,

Des Liebesglückes Sonnenschein zu tragen,

Und diesen immer Gegenliebe blühet,

 

Denn Himmelsglut an Himmelsglut erglühet;

Die Meisten nur gedeihn im Morgentagen,

Von trübendem Gewölke bald umhüllet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Ewiggütige

1767 – 1835

Wenn ich der Ewiggütigen gedenke,

Die mich begleitet süß hat durch das Leben,

ich in die schönste Mirklichkeit mich senke,

Die Menschen je auf Erden hat umgeben,

 

Und scheinbar nur in Wirklichkeit ich lenke

Den Blick; es ist ein himmelhoch Erheben.

An Himmelsthaue ich entzückt mich tränke,

wenn ich des Bildes Klarheit kann erstreben.

 

Mit ihm durchschleiche ich des Alters Tage,

Und Seligkeit die Seele reich mir füllet,

Mein Thun ist längstverklungne Vorzeitsage,

 

Doch mein Genuß in ew’gem Stromee quillet.

Denn wie mit unsichtbaren Geisterhänden

Fühl’ ich mir ihn sie ewig gütig senden.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Zug nach Oben

1767 – 1835

Ich tauchte oft mich wohl in Weltgeschäfte,

Erprobt an ihnen ernsthaft meine Kräfte,

Versuchte wagend, wie mein Loos mir fiele,

und führte manche zum erwünschten Ziele.

 

Doch nie dem Wahn ich Anderer nachäffte,

Als wenn des Menschen Heil sich daran hefte;

In stiller Nacht, in Abenddämmrungs-Kühle

Senkt ich mich tief in höhere Gefühle.

 

Wie dem, der schwebend in die Lüfte steiget

Auf leichtem Ball, die Erde plötzlich sinket,

So Höhe ladend uns von oben, winket,

 

Wo mehr sich nichts von dieser erde zeiget,

Und dieser Höhe zu den Flug zu lenken

Muß von der Welt zur Brust den Sinn man senken.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Ergebung

1767 – 1835

Auch mir kann der Verderbensstrahl erscheinen,

Der feurig sich vom Riesendach erhebet;

Doch meine felsenfeste Brust nicht bebet,

Und kindisch feige nicht die Augen weinen;

 

Was liegt verborgen in des Schicksals Schreinen,

Von unerforschtem Dunkel ist umschwebet;

Doch Alles, was auf Erden athmend lebe,

Muß sich ihm beugen, es verschonet keinen.

 

Drum hebe, Flamme, dich in nächtger Stille!

In langer Reihe süß verlebter Jahre

Genossen habe ich der Freuden Fülle;

 

Muß jetzt ich schmecken des Geschickes Strenge,

Ich mit Gelassenheit darin gewahre

Der Dinge Wechsel in der Zeiten Länge.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Des Herrschers Glanz

1767 – 1835

Des Herrschers Glanz, wie Sonnenstrahl, nie bleichet,

Er sich ergeht in Marmor-Säulengängen,

Nie über seinem Haupte Wolken hängen,

Der zartste Duft vor seinem Hauche weichet.

 

Der Größe Gipfel hat er voll erreichet.

Die Völker des Palastes Thor umdrängen,

Die Riesentreppen ihre Züge engen,

Und schimmerlos kein Augenblick verstreichet.

 

Er weiß nicht, wie sich Glück und Unglück gatten,

Er kennet keines Dinges Erdenschatten.

Wie, denen überm Haupt die Sonne stehet,

 

Nach keiner Seite können Schatten schlagen,

Giebt es nicht Nacht für ihn, noch dämmernd Tagen,

Von wandellosem Licht umhüllt, er gehet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Zoroaster

1767 – 1835

Wir dich des Perserlandes Weisen nennen,

Nicht weil wir wissen, daß du hast gelebet,

Nur weil seit grauer Zeit dein Name schwebet

Um Lehre, die wir selbst nur dunkel kennen.

 

Du sahst die Gottheit in des Feuers Brennen,

Das sich empor mit spitz’ger Flamme hebet,

Den Stoff zu läutern durch Verzehrung strebet,

Und Ird’sches weiß von Himmlischen zu trennen.

 

Wenn es, umfassend ihn mit tausend Zungen,

Am Körper alles Irdische ertödtet;

Zum Himmel, den es fernhinstrahlend röthet,

 

Hat längst die Seele aufwärts sich geschwungen,

Und treue Urne birgt in kleinem Raume

Den letzten Ueberrest vom Lebenstraume.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Spes

1767 – 1835

Der Wunsch, den täglich ich dir, Säule, sage,

Verläßt nicht meiner Lippen treue Pforte;

Zu dem durch dummen Schmerz geweihten Orte

In stiller Brust ich ihn tiefschweigend trage.

 

Auch fern begleitet er mich alle Tage,

Und dienet mir zum wahren Schicksalshorte;

Denn einmal kommt Erfüllung doch dem Worte

Drum ich geduldig, wenn sie säumt, nicht klage.

 

Zwei Zeiten kann es für den Menschen geben,

Die eine, wo am süßen Licht er hänget,

Die andre, wo es ihn zum Dunkel dränget.

 

Doch Alle beide Zeiten nicht erleben;

Mir ward es, und ich willig es gewahrte,

Weil ich geliebter Brust so Schmerz ersparte.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die letzte Hütte

1767 – 1835

Erwünscht erscheinet mir am Grabesrande,

Wer magisch kommet her vom Schattenlande;

Er nimmt hinweg mich aus der Menschen Mitte,

Und leitet meine ungewissen Schritte.

 

Ich wage gern die Fahrt zum andern Strande,

Wo aufgelöst sind alle Lebensbande;

Mich willig füg’ ich jeder Menschensitte,

Und menschlich ist das Grab, so wie die Hütte.

 

Denn Hütt’ und Grab bezeichnen wohl das Leben;

Sie sind dem Menschen Wohnung hier und drüben.

Doch aus der Hütte wird er oft getrieben

 

Durch äußre Macht und innres heißes Streben;

Wenn aber traulich ihn das Grab umfänget.

Der dunkle Schoß nicht wieder ihn verdränget.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Aphrodite

1767 – 1835

Dem Meer entblühten deine holden Glieder,

Umthaut von seiner Perlenfluten Reine,

Dann goß des Himmels Pracht auf dich sich nieder:

So strahlest du in magischem Vereine.

 

Entzückt umrauschten dich der Musen Lieder,

Dich grüßte Hebe mit dem Götterweine,

Zeus Adler sänftigte sein Glanzgefieder,

Gerührt von deiner Schönheit Wunderscheine.

 

Dem Menschen wurdest du der Schönheit Quelle,

Du schenktest ihm die seelenvolle Liebe;

Und wie der Strand empfängt das Bild der Welle,

 

So bildete sich aus dem süßen Triebe

Das, was den Menschen mit dem Gotte gattet,

Des Himmels Glanz, von Erdenreiz beschattet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Schule des Lebens

1767 – 1835

Ich strengen Ernst tief im Gemüthe trage,

Und drum nicht heiter stets durchs Leben gehe;

Doch weiß ich deutlich immer, wo ich stehe,

Mich falsch nie freue, und von Wahn nicht zahe.

 

Da ich genau weiß immer, was ich wage,

Ich der Gefahr mit Muth ins Auge sehe,

Mich nicht nach jedem Wind des Schicksals drehe,

Und selbstgewählte Bahnen dreist einschlage.

 

Früh hat das Leben mich dem Ernst vermählet,

Von innen aus hab’ ich die Brust gestählet,

Erzogen mich in harter Strenge Schule;

 

Die kindisch irre schwankenden Verlangen

Das Schicksal und der eigne Trieb bezwangen,

So niemals um Genuß und Glück ich buhle.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Räthsel

1767 – 1835

Wie Kastor sich und Polydeukes gleichen,

Wenn durch die Himmel, Roß an Roß, sie sprengen,

Wo sich der Sterngebilde goldne Zeichen

Am Winterabendhimmel glänzend drängen;

 

So wenn die Sterne vor der Sonne bleichen,

In heiteren und sauren Lebensgängen

Nicht von einander unsre Mütter weichen,

Begleitend wechselweis sich mit Gesängen.

 

Denn diesen süßen Zwillingsmelodieen

Sah leuchtend uns derselbe Tag entglühen,

Wie Funken nächtlich von den Sternen sprühen.

 

Ein Räthsel ist dem Hörer vorgeleget,

Und nach der Losung er vergebens fräget,

Da, der nicht ist mehr, sie verborgen träget.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Das Bleibende

1767 – 1835

Von dem, was Dichter voll Begeistrung sangen,

Was sie in freier Rede Fluß geschrieben,

Ist Weniges nur bis auf uns geblieben,

Unendliches ist unter längst gegangen.

 

Kann keine Dauer Geisteswerk erlangen,

Kann Geisteskraft auch nie in Nichts zerstieben,

Das Werk ist Blüthe nur, die sie getrieben;

Die welkt, ihr bleibt ihr strebendes Verlangen.

 

Wohin die körperlose einst entschwebet,

Ist zwar in ewgen Dunkels Nacht gehüllet;

Doch daß sie aufwärts nicht vergebens strebet,

 

Verbürgt die Glut, die hier schon in ihr lebet.

An neuem Stoffe sie die Sehnsucht stillet,

Und neuer Born ihr hehren Fühlens quillet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Beglückteren

1767 – 1835

Wenn sich die Pappeln zu einander neigen,

Sie Liebliches sich wohl vertraulich sagen,

Vielleicht sie, flüsternd, freudig sich bezeigen,

Daß schwesterlich sie darf der Boden tragen,

 

Daß schöngeordnet sie, wie Jungfraunreigen,

Empor in freundlichem Vereine ragen,

Nicht, einsam trauernd, in die Lüfte steigen,

Dem öden Wind nicht ihre Sehnsucht klagen.

 

Wenn Bäume nah, geliebt und liebend, stehen,

Des Schicksals Loose günstger ihnen wehen,

Als uns, die rauhe Stürme hart oft trennen.

 

Sie, festgewurzelt, frei die Kronen regen,

Sich aneinander, süß geschwätzig, legen

Und Scheidungsschmerz allein im Tode kennen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Weihe der Zeit

1767 – 1835

Erhaben tönet erst des Donners Rollen,

Wenn fern vom fürchterlichen Schlag man stehet,

In Wolkenbild der Nebel übergehet

Erst, wenn man nicht von ihm ist mehr umquollen.

 

Wenn sich Gestalt und Ton entfalten sollen,

Muß man durch leeren Raum sie fern erspähen;

Denn auch im Leben scheint verwirrtes Drehen

Der Menschen augenblicklich Thun und Wollen.

 

Nur in der Weltgeschichte ruhger Klarheit

Erschauet man der Vorzeit tiefe Wahrheit,

Wenn die Erscheinung längstz entfloh den Sinnen;

 

Dann wann die Stille der Betrachtung sieget,

Und Zug vor Zug zum Bild zusammenfüget,

Kann sie Gestalt erst vor dem Blick gewinnen.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Niagara

1767 – 1835

Der Niagara über Felsen schäumet,

Und pfeilschnell dann hinab zum Abgrund schießet;

In stiller Majestät nachher er fließet,

Da er den Pfad sich siegreich aufgeräumet.

 

Des Helden Schritt auch Hinderniß nicht säumet,

Er seiner Kräfte stolzes Recht genießet,

Ihm widerstehn sich mit dem Leben büßet;

Er kühn verweirklicht, was er kühn geträumet.

 

Doch öffnet sich dem Helden einst die Erde,

Sein Loos ist, daß er fortgerissen werde,

Wo keiner irdschen Größe Glanz mehr schimmert.

 

Der Niagara braust durch Ewigkeiten,

Wie er gebrauset in uralten Zeiten,

Eh’ je ein Menschenschifflein ward gezimmert.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Orinoko

1767 – 1835

Jahrtausende der Orinoko fließet,

Und froh aufbrausend sich ins Meer ergießet;

Er rollend sah in wechselnden Gestalten

Die Erd’ und ihrer Wohner sich entfalten.

 

Des Tropfens Leben jeden Lauf beschließet,

Er einmal nur des Meeres Pforten grüßet,

Kann in der Elemente wüstem Walten

Oft nur als Duft sich in dem Luftraum halten.

 

Der Menschenstrom sich auch so fort beweget,

Allein die Einzelnen, aus deren Menge

Er doch besteht, sich kurz in ihm nur drehen,

 

Und in dem tiefen All dann untergehen.

Sie treibt des Ganzen tosendes Gedränge,

Und kein Herz fühlend jenem Ganzen schläget.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Aphrodite

1767 – 1835

Das Wasser lieh mir seine dichte Hülle,

Als ich noch schlummernd lag im Meeresschaume;

Es war, ihr wißt es, Götter, nicht mein Wille,

Herauf zu steigen zu des Aethers Raume.

 

Wie lieblich quoll der Welle weiche Fülle

Um meine Schwanenbrust, und wie im Traume,

Genoß ich süß balsamisch duftge Stille

Dort unter dem krystallnen Flutensaume.

 

Hier im Olymp und auf der Menschen Erde

Von Zwist, wie der in Asche Ilion legte,

Durch Götterneid bedroht ich ewig werde.

 

Drum Liebe zu den Wellen fort ich hegte;

Und wo ich Künstlerphantasie anregte,

Sieht man mich meist in badender Geberde

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Jugend Genius

1767 – 1835

Wer seiner Jugend treu bleibt durch das Leben,

Und hoch im Herzen achtet diese Treue,

Bewahret Einheit in des Geistes Streben,

Und kennt den Stachel niemals bittrer Reue.

 

Des Alters Brust noch die Gefühle heben,

Die heiligten der Jugend Blüthenweihe;

Der ersten Sehnsucht leises Wonneleben

Dem ganzen Dasein glänzt, wie Himmelsbläue.

 

Denn von den duftgen Lebenskränzen allen

Am duftigsten der Kranz der Jugend schwillet;

Bis hin zum Grabe Balsam ihm entquillet.

 

Die anderen auf Momente nur gefallen.

Die Hand der Zeit ein Herz läßt unberühret,

Das fromm und treu der Jugend Genius führet.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Lea

1767 – 1835

Dir war der Sturm der Leidenschaften lieber,

Als Wehmuthsschweigen tief im stillen Herzen,

Dein Wesen trieb dich in ihr kochend Fieber,

Und sandte dir verzehrend ihre Schmerzen.

 

Allein die Leidenschaft, die trüb’ und trüber

Kann auch des Busens reinen Himmel schwärzen,

Doch läuternd geht ins ganze Dasein über,

Wie Glut die Schlacke löst von edlen Erzen,

 

Sie war dir fremd; bald stürmend bald beklommen,

Bist nie zum Seeleneinklang du gekommen,

Der die erhabensten der Frauen schmücket.

 

Viel konntest denkend, fühlend du erringen,

Doch nie dich auf zu ihrer Größe schwingen,

Nie hat dich ihre Götterruh’ erquicket.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der süße Traum

1767 – 1835

Wenn Traum, der lange ausblieb, wiederkehret,

Ist er, wie altbewährter Freund, willkommen,

Der liebreich seinen Weg zu uns genommen,

Da lange seiner Nähe wir entbehret.

 

Doch wer so unsre nächtgen Freuden mehret,

Und wecket Funken, der schien ausgeglommen?

Und wem kann unsrer Sehnsucht Täuschung frommen,

Daß er geliebtem Bild zu nahen wehret?

 

Giebts eine Traumwelt in des Dunkels Reichen,

Aus der herumzuwandern still auf Erden,

Entlassen unsrer Freuden Schatten werden?

 

Dann können nicht wir mit dem Schicksal rechten.

Ach! läg’ es in des Herzens eignen Mächten,

Nie würde sie aus meinen Träumen weichen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Freiheit und Zwang

1767 – 1835

Der Mensch muß oft ein Joch sich auferlegen,

Und sich aus eigner Willenskraft bezwingen;

Der Selbstbeherrschung nur kann es gelingen,

Sich frei in richtgen Bahnen zu bewegen.

 

Denn Freiheit ist nicht regelloses Schwingen

Des Geistes; sie, der Seele stiller Segen,

Ist nicht, auch strenger Fesseln Zwang entgegen,

Wenn sie kann selbst in sich den Sieg erringen.

 

Doch muß den Zügel schießen lassend wieder

Er auch, des Zwangs vergessen, sich erheben,

Dem Adler gleich, auf schwebendem Gefieder.

 

Wem Kraft Entschluß und selbstverleugnung geben,

Ziehn nicht des Erdenstoffs Gewichte nieder,

Er kann in Aetherhöhe sicher leben.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Macht des Geistes

1767 – 1835

Hülflosigkeit dem Geiste Spannung giebet,

Daß er des Wesens volle Kräfte übet;

Doch oft auch seine Kraft sie niederdrücket,

Und alle Sehnen seines Muths umstricket.

 

Des Starken Kraft bleibt heiter, ungetrübet,

Wenn vor dem Schicksal auch sein Glück zerstiebet;

An seiner Stärke Quell er sich erquicket,

Harrt nicht auf das, was ihm der Himmel schicket.

 

Von weiser Gottheit unsichtbaren Händen

Hat er, weß er bedarf, in sich empfangen,

Und kann hervor aus sich es selbst nun spinnen.

 

Wenn auch des Lebens Ströme wechselnd rinnen,

Muß doch er zum gesteckten Ziel gelangen,

An niemand Fordrung, als an sich, zu wenden.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Orest und Pylades

1767 – 1835

In Pylades sich immer gleicher Treue

Erfuhr Orest der ächten Freundschaft Weihe;

Sorgsam in tiefer Brust von ihm getragen,

Fühlt’ er das eigne Herz im Freunde schlagen.

 

Gequälet von des Muttermordes Reue,

Angstvoll, ob Heilung ihm ein Gott verleihe,

In Freundes brust ausgießend seine Klagen,

Empfand er minder hart der Schmerzen Nagen.

 

Doch herrlicher die Freundschaft sich erhebet,

Wenn nur der Seele ungetrübter Spiegel

Giebt der Begeisterung des Freundes Flügel;

 

Wenn keiner hat dem anderen zu danken,

Nur die Gefühle sich so dicht umranken,

Daß jeder in sich doppelt Leben lebet.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Sisyphus

1767 – 1835

Nicht Sisyphus im dunklen Reich der Schatten

Allein besteht den Kampf mit eitlem Mühen,

Auch hier, wo Finsterniß und Licht sich gatten,

Gewälzte Steine tückisch oft entfliehen.

 

Der Starke scheuet nicht der Kraft Ermatten,

Nicht auf der Stirn des Arbeitsschweißes Glühen.

Vollendet viel Herakles Arme hattet,

Und Lohn sah er den muthgen Thaten blühen.

 

Doch Menschenthat verlanget Göttersegen,

Sonst kann auch leichten Stein sie nicht bewegen,

Und Dinge giebt es, die kein Gott gewähret.

 

Was kühn zusammen, grübelnd, wird gefüget,

Entblößt von Wahrheit, bald zertrümmert lieget,

Und sich der Geist im eignen Thun verzehret.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Tod und Schlaf

1767 – 1835

Der Tod sich und der Schlaf, wie Brüder, gleichen,

Doch sind durch mächtge Kluft sie auch geschieden:

Der Tod ist ewig milder Seelenfrieden,

Der Schlaf entfliehet bei der Sterne Bleichen.

 

Sobald das Licht verdrängt die goldnen Zeichen,

Die Sorge kehrt, die schlafend man gemieden;

des Schicksalsrades Wirbeldrehn hienieden

Die innre Ruh, die göttliche, muß weichen.

 

Im Schlafe noch sich um den Menschen streiten

Das Leben, das ihn schreckt mit bösen Träumen,

Und jene Ruhe, die aus Himmelsräumen

 

Entzückende läßt an ihm niedergleiten.

Im Tode hat der Geist den Sieg errungen,

Und allen Erdengram in Ruh verschlungen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           China

1767 – 1835

Voll Eigenheiten ist das Reich der Mitte,

und ehern eingewohnt in alte Sitte;

Des Lautes Zeichen schreibend es verschmähet,

Und nur nach dem Begriff, dem reinen, spähet.

 

Doch hemmt es selber seines Fortgangs Schritte,

Als wenn Verbessrung mit dem Guten stritte,

Und auch der wahrheitsforschung zugedrehet,

Erreicht es nicht, was aus der Tiefe wehet.

 

Sein Dichten sich in Künstlichkeit verlieret,

Undvon Despotenzwang zurückgedränget,

Der Rede strömende Gewalt nichts rühret.

 

So doch das Volk das Menschlichste entbehret,

Und seinen Geist, verschnörkelt und beenget,

In wesenloser Kleinlichkeit verzehret.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Mars

1767 – 1835

Von der, die traulich nah dir stand, geschieden

Sitzest du da, mit ernstgefärbtem Blicke,

Als wenn zurück du nach entwichnem Glücke

Schautest, wie Menschen müssen oft hienieden.

 

Du fühlst nicht Kampflust mehr im Busen sieden,

Dich kümmern nicht der Throne Wehgeschicke.

Daß alle Erdgeschlechte Ruh entzücke,

Tauchst du die Brust in tiefem, stillen Frieden.

 

Zu deinen Füßen Amor schalkhaft spielet,

Allein dein Herz nicht seine Pfeile fühlet,

Du willst nicht lassen neue Liebe keimen.

 

Nur einzig sehnsuchtsvoll in die versenket,

Die dich mit ihrem Nektar süß getränket,

Lebst du mit ihr vereint in goldnen Träumen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Bei Sternenschein

1767 – 1835

In meines Lebens glückbekränzten Tagen,

Nach sonndurchglühter Stunden Sommerschwüle,

In thauumquollner, nächtig heitrer Kühle

Bei Sternenschein, wir oft im Fenster lagen.

 

Bald weckten, die ihr Licht uns fernher tragen,

Der Leu, die Jungfrau, unsrer Brust Gefühle,

Bald ruhten wir auf Vegas Saitenspiele,

Arkturus Glanz, des Nordens goldnem Wagen.

 

Die Treugesinnten um den Pol sich drehen

Um niemals, uns verlassend, fern zu stehen.

So strahlen dort des Herzens Doppeltriebe:

 

Im ruhgen Pol das stille Glück der Liebe,

Im Wandelstern die schweifenden Verlangen,

Die an des Wiedersehens Hofnung hangen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Betrachtung

1767 – 1835

Auf Marmor hab’ ich sicher euch gegründet,

Daß euch der Stand vor jedem Unfall wahre,

Ihr Bilder, die durch lange Lebensjahre

mir habt die Brust mit süßer Lust entzündet.

 

Den Genius ihr jener Zeit verkündet,

Die, daß sie keinen Rum der Nachwelt spare,

Und Größres Helios nichts, als sie, erfahre,

Mit Erdendasein himmlisches verbindet.

 

Stumm saß ich oft vor euch, und stumm verlassen

Nun werd’ ich euch, wenn mich das Grab empfänget.

An Phöbus Stralen eure Schönheit hänget,

 

Der Mensch in Grabesnacht kann sie nicht fassen:

Die irdschen Sinne sind von ihm gewichen,

Den himmlischen ist euer Reiz verblichen

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Mars

1767 – 1835

Ich liebe kein olympisches Gebilde

So sehr als, ruhger Kriegsgott, deine Züge.

Du trägst die spur der großerkämpften siege

Nur in erhabner Stille Göttermilde.

 

Du gern durchwandelst Paphos Lustgefilde

Doch sind sie dir nicht eitler Träume Wiege,

Und gegen Amors flatterhafte Lüge

Dient dir der Ernst der Stirn zum sichern Schilde.

 

Als Griechengeist sich in geweihter Stunde

Auf tief erforschter Wahrheit festem Grunde

Mit kühnem Fluge hatt’ emporgeschwungen,

 

Wo Größe steht mit Reiz in treuem Bunde

Und Menschlichkeit von Gottheit wird durchdrungen,

War edlem Meißel dieses Bild gelungen.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt          

1767 – 1835